Intern
Institut für Geschichte

Peter Hoeres zu seinem Austritt aus dem Historikerverband

03.06.2024

„Freie Diskursräume sind kein Freibrief für Antisemitismus“. Mit den Denkgebäuden des Postkolonialismus wird an den Universitäten ein trojanisches Pferd eingeschleust, das antiisraelischen und antisemitischen Vorurteilen und Erzählungen Vorschub leistet, sagt der Historiker Peter Hoeres. Er hat daraus Konsequenzen gezogen.

„Freie Diskursräume sind kein Freibrief für Antisemitismus“

Mit den Denkgebäuden des Postkolonialismus wird an den Universitäten ein trojanisches Pferd eingeschleust, das antiisraelischen und antisemitischen Vorurteilen und Erzählungen Vorschub leistet, sagt der Historiker Peter Hoeres. Er hat daraus Konsequenzen gezogen.

INTERVIEW MIT PETER HOERES am 24. Mai 2024

Peter Hoeres ist Professor für Neueste Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Mitgründer des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit.

Herr Hoeres, Sie sind Professor für Geschichtswissenschaft in Würzburg und nun aus dem angesehenen „Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands“ (VHD) ausgetreten. Warum?

Der konkrete Anlass war die jüngste Erklärung des Verbandes vom 17. Mai. Sie richtet sich gegen die sogenannte „Diffamierung von Wissenschaftler*innen“, wie sie sich fehlerhaft ausdrücken. Der Verband ist darin jenen Kollegen beigesprungen, die kritisiert wurden für ihre Verteidigung des pro-palästinensischen Protestcamps an der Freien Universität Berlin. Dabei gab es kein Wort zu den psychischen und physischen Attacken auf jüdische und die israelischen Studenten auch hierzulande. Auf dem Protestcamp wurden Slogans und Hamas-Symbole verwendet, die klar die Auslöschung des Israels fordern. Mit der Erklärung des Verbandes wurden diese sogenannten Proteste indirekt verteidigt. Der Historikerverband hat aus meiner Sicht damit seinen moralischen Kompass verloren. Für mich ist es zudem eine Erklärung, die sich in eine Kette von einseitigen Stellungnahmen einreiht.

In dieser jetzigen Erklärung heißt es, man wolle für freie Diskursräume werben. Das wäre ja ein richtiges Anliegen, oder?

Freie Diskursräume sind natürlich essenziell, aber das bedeutet ja nicht, einen Freibrief für Antisemitismus auszustellen. Und insofern ist es auch merkwürdig, dass die Stellungnahme des Historikerverbandes die Hochschulrektorenkonferenz nur verkürzt zitiert. Wenn es Drohungen gegen andere Studenten gibt, dann ist eben die Grenze des freien Diskurses erreicht. Insbesondere, wenn es auch um jüdische Studenten geht, die hier attackiert werden, sollten Historiker wachsam sein. Für mich ist da die rote Linie wirklich deutlich überschritten worden.

Welche Reaktionen haben Sie auf Ihren Austritt bekommen?

Es gab viel Zustimmung, das war wirklich überwältigend. Einige Kollegen haben mir auch ihre Austrittserklärung zugeschickt. Ich habe auch sehr viel Zuspruch aus der jüdischen Gemeinschaft bekommen. Sie hätte sich natürlich noch mehr Widerstand gegen die Erklärung gewünscht. Es war der richtige Zeitpunkt, es zu tun. Wir dürfen nicht mehr die Augen davor verschließen, was in einigen Universitätsstädten gerade passiert.

In den Sozialen Medien hat ein Kollege Sie aufgefordert, den Verband von innen zu verändern. Warum machen Sie das nicht?

Das habe ich versucht. Ich war sogar gewähltes Mitglied im erweiterten Vorstand. Ich habe mich immer wieder zu Wort gemeldet, bin aber leider nicht durchgedrungen. Also einen echten Pluralismus erkenne ich im Verband nicht mehr. Der Verband geht über seinen eigentlichen Auftrag, die Angelegenheiten der Geschichtswissenschaft zu betreuen und voranzubringen, weit hinaus, mit ganz zweifelhaften politischen Stellungnahmen.

Aber Wissenschaft, besonders Geschichtswissenschaft, gibt es nicht ohne Politik und politische Debatte, denken wir etwa an den sogenannten Historikerstreit in den 1980er Jahren.

Natürlich besitzt die Geschichtswissenschaft auch politische Implikationen. Aber es muss eine wirklich freie Debatte geben, die sich mit unterschiedlichen Akteuren entfalten kann. Ein Verband kann da nicht die Richtung vorgeben. Nehmen Sie die Stellungnahme von 2018 beim Historikertag in Münster zu Populismus und Migration. Das war eine absolute Überdehnung des Mandats, weil der Historikerverband mit 3000 Mitgliedern in Haftung genommen wird für eine bestimmte politische Haltung.

Ihnen wurde damals vorgeworfen, den Diskurs der Mitte nach rechts zu verschieben. Was ist denn Ihre Analyse sechs Jahre später?

In der damaligen Resolution stand beispielsweise der Satz: „Migration hat die Gesellschaft in Deutschland insgesamt bereichert.“ Das ist ein unsinniger Pauschalsatz, der genauso absurd ist wie das Gegenteil. Und dieser pauschale inhaltliche Satz wurde vom Verband beschlossen, kurz nachdem ein weiterer deutscher Staatsbürger durch einen Asylbewerber umgebracht worden war. Das empfand ich als zynisch, inhaltlich unterkomplex und aktivistisch. Es ist nicht Aufgabe eines Historikerverbandes, sich so politisch zu positionieren. Das hat mit rechts und links nichts zu tun, sondern mit Übergriffigkeit des Verbandes und damit mit einer Überdehnung des Verbandsmandats.

An den Universitäten brodelt es gerade. Was ist los, was beobachten Sie?

Man muss da zwei Ebenen unterscheiden. Das eine sind diese aggressiven Protestcamps und die Drohungen gegenüber jüdischen Studenten, die sich als solche nun kaum mehr zu erkennen geben wollen. Das andere ist der Vormarsch des sogenannten Postkolonialismus, diese sich ausbreitende postkoloniale Theorie, die subkutan massiv antisemitische und antizionistische Narrative transportiert.

Beim Postkolonialismus geht es kurz gesagt um die Schuldgeschichte des Westens gegenüber den Ländern des Globalen Südens. Was ist die Gefahr?

Dieser Postkolonialismus ist keine ergebnisoffene Wissenschaft, insofern kann er Wissenschaftlichkeit für sich nicht beanspruchen. Die Ergebnisse stehen von vornherein fest. Also an allem Übel der Welt sei – verkürzt gesprochen – die „weiße“ westliche Welt und ihre koloniale Expansion schuld, so die These. Und dazu wird dann eben auch Israel gezählt. Damit wird ein trojanisches Pferd eingeschleust, was sozusagen diesem antiisraelischen, aber auch antisemitischen Vorurteilen und Erzählungen Vorschub leistet.

Erleben wir generell eine neue Politisierung der Wissenschaft, die an die 1960er und 1970er Jahre erinnert?

Meiner Ansicht nach ist das ein naheliegender Vergleich. In den 1960er und 1970er Jahren waren eben marxistische Vorannahmen und Ideologeme sehr präsent. Sie galten als state of the art in vielen Geisteswissenschaften. Viele haben sich dem einfach angepasst, die Ideologie übernommen, auch in Formulierungen und Sprachregelungen. Dann mit dem Zusammenbruch des Ostblocks ist diese kommunistische Leitidee weitgehend verschwunden. Eine ähnliche Funktion nimmt jetzt dieser so genannte Wokismus ein. Wieder wird Ideologie der Wissenschaft und der Forschung übergestülpt, um Aktivismus zu praktizieren und politische Ziele durchzusetzen. Und wieder sieht man, dass hier eine sehr kleine Minderheit mit radikalen Thesen ganze Fächer sozusagen kolonisiert. Das halte ich für eine ernste Gefahr. Man muss mal in die USA schauen, wo dieser ganze Prozess schon viel weiter fortgeschritten ist.

Sehen sie die Geschichtswissenschaft in Deutschland generell zu einseitig aufgestellt?

Es gibt sehr viele Kolleginnen und Kollegen, die hervorragende Forschung betreiben. Ich will mich auch selbst nicht unzulässiger Pauschalisierungen bedienen. Ich sehe aber sehr wohl in Teilen das Problem einer
Kolonisierung der Geschichtswissenschaft durch postkoloniale Ideologeme. Und ich beklage eine große Einseitigkeit bei politischen oder verbandspolitischen Stellungnahmen. Mir fehlt es an Pluralismus, der doch
anderseits immer so beschworen wird.

Sie kritisieren die postkolonialen Denkweisen. Was setzen Sie denn dagegen?

Aufklärung und Wissenschaft! Aufklärung kann helfen, die starken normativen Voraussetzungen zu entlarven, die der postkolonialen Theorie zugrunde liegen. Diese pauschalen Thesen sind nicht haltbar, das muss aufgezeigt werden. Das ist eigentlich das wissenschaftliche Kerngeschäft. Es machen nur leider im Moment zu wenige. Ein gutes Beispiel ist etwa der Kollege Egon Flaig, der mit seiner „Weltgeschichte der Sklaverei“ gezeigt hat, dass Sklaverei keineswegs ein spezifisch westliches, sozusagen ein „weißes“ Projekt ist. Der einzige markante Unterschied zwischen der westlichen und außerwestlichen Kultur ist, dass die westliche sich korrigiert hat und die Abschaffung der Sklaverei durchgesetzt hat. Das ist historische Aufklärung. Und das ist auch meine Hoffnung. Irgendwann hat jeder Spuk ein Ende.

Das Gespräch führte Volker Resing.

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