Bericht Brasilien-Exkursion
Brasilien-Exkursion des Lehrstuhls für Neuere Geschichte
Mainfranken und der Süden Brasiliens
Text: Dr. Peter Mainka
Hinter vielen Kooperationsverträgen, die zwischen Universitäten abgeschlossen werden, steht das individuelle Engagement einzelner Personen. Im Rahmen des akademischen Austausches oder von Auslandsrecherchen und Forschungsaufenthalten entstehen erste Kontakte zu Kollegen und Professoren, die zu ersten Kooperationsprojekten führen. Um die Zusammenarbeit auf eine gemeinsame rechtliche Grundlage zu stellen, kommt es zum Abschluss förmlicher Partnerschaften zwischen den Hochschulen. Nicht selten geht dann die neue Kooperation in der Vielzahl von partnerschaftlichen Kontakten, die eine Universität gerade in unseren Zeiten der Globalisierung und internationalen Vernetzung unhterhalten muss, unter. Die mit vielen Erwartungen initiierte Partnerschaft besteht nur auf dem Papier und bleibt damit in gewisser Weise im ‚Potentialis‘ stecken.
Um dieser Gefahr vorzubeugen und den 2010 abgeschlossenen Kooperationsvertrag zwischen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMUW) und der Universidade Estadual de Maringá (UEM) im brasilianischen Bundesstaat Paraná tatsächlich mit Leben zu füllen, organisierte der Historiker Dr. Peter Mainka von der Universität Würzburg im September 2012 eine dreiwöchige Exkursion in den Süden Brasiliens. Ziel der Exkursion war es, zum einen Brasilien und seine Bewohner jenseits aller Klischees und Vorurteile und zum anderen Studien- und Lebensalltag an brasilianischen Universitäten etwas besser kennen zu lernen.
Dr. Peter Mainka arbeitete von 1999 bis 2002 im Rahmen eines gemeinsamen akademischen Austauschprogrammes des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und seiner brasilianischen Partnerorganisation Voordenação de Aperfeiçoamento de Pessoal de Nível Superior (CAPES) als Langzeitdozent am Departamento de Fundamentos da Educação (Bereich: Postgraduierung) der UEM. Seit dieser Zeit bestanden lose Kontakte, die über kurze Lehr- und Forschungsaufenthalte in Maringá und Besuche und Vorträge brasilianischer Professoren in Würzburg im Jahr 2010 in einen Kooperationsvertrag einmündeten, der nun auf eine noch breitere Basis gestellt werden soll.
Seit 2010 besteht zwischen der altehrwürdigen Julius-Maximilians-Universität Würzburg [JMUW] und der jungen Universidade Estadual de Maringá [UEM] ein Kooperationsvertrag in den Bereichen Geschichte, Biologie und Medizin. Der Abschluss einer formalen Partnerschaft auf allen universitären Ebenen wird angestrebt.
In der Stadt Würzburg (704 erstmals urkundlich erwähnt), die im Norden des Bundeslandes Bayern im Maintal liegt, leben etwa 134.000 Einwohner; an der 1582 gegründeten JMUW waren im Wintersemester 2012/13 insgesamt 25.295 Studierende eingeschrieben. Die Stadt Maringá liegt im Süden Brasiliens, und zwar im Bundesstaat Paraná, und wurde erst 1947 gegründet. Gegenwärtig leben hier über 367.000 Menschen; an der UEM mit ihren insgesamt sieben Standorten gab es 2010 insgesamt 24.191 Studierende.
An der Exkursion nahmen insgesamt 19 Studentinnen und Studenten aus ganz unterschiedlichen Studienbereichen: Geographie und Geschichte, Pädagogik und Anglistik sowie Chemie, Pharmazie und Medizin. Im Vorfeld hatten die Studierenden Portugiesisch-Sprachkurse zu belegen; darüber hinaus wurden sie von Débora Rinaldi, einer Würzburger Soziologie-Studentin aus Brasilien, kompetent über den Alltag in Brasilien informiert. Etappen der Exkursion waren die Mega-Metropole São Paulo, Curitiba, die Hauptstadt von Paraná, sowie eben das etwa 600 km westlich von São Paulo gelegene Maringá.
In São Paulo leben die Menschen ganz offensichtlich im Beschleunigungsmodus und der Verkehr in den Schluchten der Hochhaus-Gebirge bewegt sich bekanntlich ständig am Rande eines Infarktes. Hier standen folgende Besuche auf dem Programm: 1. das Instituto Martius-Staden (mit einem Vortrag von Prof. Dr. Frank Usarski (PUC/SP) über Religion und Frömmigkeit in Brasilien), 2. die – im selben Gebäudekomplex untergebrachte – Deutsche Schule Colégio Visconde de Porto Seguro; 3. eine weitere von der Deutschen Schule finanzierte Schule für Kinder aus armen Elternhaus; 4. die Deutsch-Brasilianische Industrie- und Handelskammer, wo uns Martin Gebhardt, Referent für den Fachbereich Berufsbildung, über die dynamische Wirtschaftsentwicklung in Brasilien und die deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen informierte und 5. die hochmoderne Maschinenbaufirma Grob in São Bernardo do Campo, eine Niederlassung des gleichnamigen deutschen Familienunternehmens mit Sitz im bayerischen Mindelheim.
Nach dem Aufenthalt in São Paulo, dem pulsierenden Wirtschafts- und Industriezentrum Brasiliens und ganz Lateinamerikas, war erst einmal Natur und Erholung angesagt: 1. zunächst eine kleine Wanderung im Parque Estadual de Vila Velha bei Ponta Grossa/PR mit seinen bizarren Gesteinsformationen inmitten einer eindrucksvollen Landschaft; 2. dann eine Fahrt mit der historischen Eisenbahn von Curitiba nach Paranaguá, der ältesten Stadt in Paraná – auf einer 1885 fertiggestellten Schmalspurbahn über die Serra do Mar mitten durch die Mata Atlântica. An der Universidade Federal do Paraná (UFPR) traf sich unsere Gruppe mit brasilianischen Studierenden, die Deutsch lernen und an einen Auslandsaufenthalt in Deutschland interessiert sind. Frau Dr. Isabell Heller, Lektorin des DAAD in Curitiba, hatte das Treffen vorbereitet, obwohl ein landesweiter Streik der Universitätsbeschäftigten seit dem Frühsommer auch die UFPR weitgehend lahmgelegt hatte.
Dieser Streik sollte dann auch unseren Aufenthalt an der Universidade Estadual de Maringá (UEM) etwas beeinträchtigen. Zwar war das Exkursionsprogramm im Vorfeld festgelegt worden, angesichts des Streiks war aber plötzlich vieles wieder in Frage gestellt.
Dennoch gelang es den Verantwortlichen vor Ort, namentlich Prof. Dr. Cássio David da Silva vom Escritório da Cooperação Internacional der UEM und seinen Mitarbeitern/-innen mit der bekannten brasilianischen Flexibilität und Kreativität und mit dem berühmten ‚jeitinho brasileiro‘, fast alle vorgesehenen Programmpunkte zu ermöglichen. Darunter waren verschiedene Vorträge von Professoren der UEM über das brasilianische Hochschulwesen, die Musik Brasiliens, die indigene Bevölkerung etc. Ferner war es möglich, ein pharmazeutisches Labor, die zahnmedizinischen Ausbildungsstätten und das Hospital Universitário der UEM zu besichtigen, wo uns Studierende und Professoren eingehend über das brasilianische Gesundheitssystem und seine Probleme informierten. Von Maringá aus gab es eine Reihe von Ausflügen in die nähere und weitere Umgebung: 1. nach Santo Inácio, wo zu Beginn des 17. Jahrhunderts unmittelbar am Rio Paraná eine Jesuitenreduktion bestand und heute ein rühriges Kulturamt darum bemüht ist, in einer ländlichen Kleinstadt das historische Erbe des Ortes lebendig zu erhalten. 2. nach Querência do Norte, um in Begleitung von einigen Studierenden der UEM ein Assentamento des Movimento dos Trabalhadores sem Terra (MST) zu besuchen; hier erhielten wir eine Fülle an Informationen über die Arbeit der MST und die von Anfang an funktionierende Schule in der Siedlung; und 3. nach Rolândia/PR, einer 1932 gegründeten deutschen Siedlung im Norden von Paraná, wohin auch manche Gegner der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland ausgewandert waren und wo es noch heute ein deutsches Honorarkonsulat gibt. Besucht wurden hier die Fazenda Solana, auf der vom Pharmakonzern Böhringer-Ingelheim Medizinalpflanzen für das bekannte Heilmittel Buskopan angebaut werden, die Fazenda Bimini, wo Umwelt- und Aufforstungsprojekte durchgeführt werden und eine von einem Schweizer geleitete Einrichtung für junge Drogenabhängige mit einem „deutsch-brasilianischen Länderspiel“ als absoluten Höhepunkt.
Schließlich durfte auch Foz do Iguaçu/PR im Dreiländereck von Brasilien, Argentinien und Parguay auf unserer Agenda nicht fehlen. Hier besuchten wir natürlich die weltberühmten Wasserfälle von Iguaçu und das gigantische Wasserkraftwerk Itaipu Binacional; daneben war es besonders spannend und interessant, das Projekt der Universidade Federal da Integração Latino-Americana (UNILA) kennen zu lernen, das seit 2010 verwirklicht wird. Es handelt sich um eine Universität mit den gleichberechtigten Unterrichtssprachen Portugiesisch und Spanisch für insgesamt 10.000 Studierende (jeweils 50 % aus Brasilien und den anderen Staaten Lateinamerikas). Alle Studiengänge sind interdisziplinär angelegt und immer mit lateinamerikanischem Gesamtbezug. Noch ist die Universität provisorisch im Stadtzentrum untergebracht, die Bauarbeiten am neuen Campus am Stadtrand sind jedoch bereits in vollem Gange – nach Plänen von keinem geringeren als Oscar Niemeyer, dem kürzlich verstorbenen Nestor der modernen brasilianischen Architektur.
Die Eindrücke und Erfahrungen, welche die Teilnehmer/-innen auf dieser Exkursion in den Süden Brasiliens sammelten, waren ungemein vielfältig und intensiv. Insbesondere die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der brasilianischen Gastgeber gerade im Interior waren überaus beeindruckend, als etwa in Santo Inácio in Anwesenheit der Honoratioren der Stadt ein großartiger Café Colonial für uns veranstaltet wurde. Jenseits aller vielfach in Deutschland vorherrschenden Klischees über Brasilien – Fußball, Samba, Karneval – zeigte sich uns das vielzitierte Schwellenland Brasilien in seiner faszinierenden Vielfalt, aber auch seinen offenkundigen Disparitäten. Insofern konnte diese Studienfahrt ganz erheblich dazu beitragen, das gängige Brasilienbild der Teilnehmer/-innen ganz erheblich zu modifizieren. Darüber hinaus ist es als weiterer Erfolg zu verbuchen, dass die Exkursion den Anstoß zur weiteren deutsch-brasilianischen Vernetzung gegeben hat: viele der Exkursionsteilnehmer/-innen setzten ihre Portugiesisch-Kurse fort und zwei Studierende planen schon konkret ihren Auslandsaufenthalt an der UEM. Kooperationsverträge stehen also nicht am Ende, sondern am Anfang einer lebendigen Partnerschaft.